Mallorca Zeitung, 14. September 2024
Stadtgeschichte Palmas: Der Wahl-Mallorquiner José Sempere ist eine der zentralen Figuren von Verge de Lluc. Sein Andenken schwindet aber immer mehr
Nicht alle Helden tragen Umhänge. José Sempere ist so ein Fall. Der 2003 kurz vor seinem 70. Geburtstag verstorbene Spanier ist mit dafür verantwortlich, dass aus Verge de Lluc ein anständiges Stadtviertel wurde. Das gelang dem Handwerker mit der Gründung des Fußballclubs CF Virgen de Lluc. Den gleichnamigen Sportplatz gibt es seit nunmehr 50 Jahren. Erinnerungen an den Initiator sucht man heute aber vergebens.
1956 und 1957 baute die Stadt Palma hier Sozialwohnungen. So entstand das Viertel oberhalb des Carrer d’Aragò jenseits der Ringautobahn. Das Bistum half bei der Finanzierung, für den Bau verantwortlich zeichnete der Architekt Antoni Roca Cabanellas, der schon Sozialbauten in Inca (1947) und in Palmas Stadtviertel Corea (1955) errichtet hatte.
Die kastenförmigen Häuser entstanden im Nichts. Es fehlte jegliche Infrastruktur und Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Eine Kirche wurde erst 1967 in Verge de Lluc gebaut, eine Schule folgte zwei Jahre später. Die Stadt überließ das Viertel mehr oder weniger den Anwohnern. Wenn es vorangehen sollte, mussten die Leute die Sache selbst in die Hand nehmen.
Bereits mit 15 Jahren nach Mallorca ausgewandert
Hier kam José Sempere ins Spiel. 1933 im kleinen Küstenort Santa Pola im Süden von Alicante geboren, war dem jungen Spanier schnell klar, dass er nicht in die Fußstapfen der Eltern treten wollte. Statt Fischer zu werden, wanderte er bereits mit 15 Jahren nach Mallorca aus. Mit kleinen handwerklichen Arbeiten hielt er sich über Wasser, ehe er genügend gespart hatte, um eine eigene Baufirma zu gründen, die er bis zu seinem Tod leiten sollte. Sempere heiratete Petronila Garrido Expósito, mit der er zwei Kinder bekam. Die Familie ließ sich in Verge de Lluc nieder.
José Sempere galt als umtriebiger Mensch, der nach einem besseren Leben strebte. Fundamental dabei war sein erstes Treffen mit Bartomeu Mateu Coll (1933–2000), dem Pfarrer des Viertels, im Jahr 1967. Beide verstanden sich prächtig und hatten eine gemeinsame Leidenschaft: den Fußball. Schnell kamen sie darauf, dass ein Verein gegründet werden musste. Nicht primär aus sportlicher Sicht, sondern als Anwohner-Kitt.
1969 war es so weit. José Sempere war Gründer und Präsident, Pfarrer Bartomeu Mateu Coll seine rechte Hand. Mit blauen Trikots und weißen Hosen spielten die Fußballer anfangs auf einem für den Sport hergerichteten Acker nahe des Sturzbaches Torrent Gros. Der Platz war unter dem Namen Villa María bekannt. Wenn die Nacht einsetzte, beleuchteten die Spieler den Platz mit den Scheinwerfern der Autos.
Erste Frauenmannschaft Mallorcas
Obwohl der Wettkampf nie im Vordergrund stand, erreichte die Männermannschaft schnell ein beachtliches Niveau. Spieler einzukaufen, war dabei nie im Sinne des Erfinders. Sempere setzte auf eine solide Jugendarbeit. Der CF Virgen de Lluc war auch der erste Inselclub mit einer vernünftigen Frauenmannschaft. Um den Platz zu verbessern, rief Sempere die Nachbarschaft dazu auf, zusammenzulegen und mit anzupacken. Die Anwohner pachteten ein Baugrundstück und eröffneten 1974 ein kleines neues Stadion namens Campo José Sempere.
Bis Mitte der 80er-Jahre hatte der Wahl-Mallorquiner noch beim Club das Sagen. Im Anschluss übernahm sein Schwager Práxedes Garrido. José Sempere war auf Lebzeiten Anhänger von Real Mallorca und Real Madrid. Erstaunlicherweise hat er den damaligen Präsidenten der Königlichen, Santiago Bernabeu, nie getroffen. Der Namensgeber des Stadions der Madrilenen hatte ein Sommerhaus im Heimatort der Semperes. Beide Familien hatten gar gemeinsame Freunde.
Ab den 90er-Jahren ging es bergab
Mit dem Verein ging es derweil bergab. In den 90er-Jahren verschlechterte sich der Zustand des Stadions zunehmend. Die erste Männermannschaft löste sich 1997 auf, der Nachwuchs hielt bis 2002 durch. Im gleichen Jahr kaufte das Rathaus von Palma den Sportplatz und beschloss, ihn von Grund auf zu renovieren. Das sollte sich über Jahrzehnte hinziehen. 2018 wurde die Anlage abgerissen, und erst dieses Jahr wieder aufgebaut. Im Juli weihte das Rathaus den neuen Platz ein, auf dem nun neben einem Fußball- und einem Rasenhockey-Verein auch die Gipsy Kings League spielt (MZ berichtete).
Was fehlt, ist das Andenken an José Sempere. Das Rathaus benannte nach Pfarrer Bartomeu Mateu Coll eine Straße in der Nähe der Kirche. An den Namen des Vereinsgründers erinnert nichts mehr. Dabei hätte er wahrlich eine Gedenkplatte verdient.